Johann Sebastian Bach: Brandenburgische Konzerte Nr.1-6
Brandenburgische Konzerte Nr.1-6
Mit weiteren Werken von:
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)
Mitwirkende:
Ensemble Caprice, Matthias Maute
2
CDs
CD (Compact Disc)
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
- +Schostakowitsch / Maute: Preludes op. 87 Nr. 2, 4, 5, 7, 11 für Orchester, 18; Fuge op. 87 Nr. 7 für Orchester
- Künstler: Ensemble Caprice, Matthias Maute
- Label: Analekta, DDD, 2012
- Bestellnummer: 1455303
- Erscheinungstermin: 18.11.2013
Als J. S. Bach 1721 seine sorgfältig handgeschriebene Partitur der Sechs Konzerte à plusieurs instrumentes an den Markgrafen von Brandenburg schickte, hätte er sich nie vorstellen können, dass diese Stücke die berühmtesten Konzerte des Barock werden würden, ein Erfolg, der vielleicht nur mit dem von Antonio Vivaldis legendären Violinkonzerten Die Vier Jahreszeiten vergleichbar ist.
Doch es scheint tatsächlich unwahrscheinlich, dass diese wunderbare Musik zu Bachs Lebzeiten jemals vom Orchester am Hof des Markgrafen aufgeführt wurde, und wir können nur erstaunt sein über dieses seltsame Schicksal einer der größten Musiksammlungen aller Zeiten.
Die sechs Konzerte wurden zwischen 1712 und 1721 für verschiedene, voneinander unabhängige Anlässe komponiert, aber es entsprach Bachs Natur, dass er sich bei der Zusammenstellung zu einer Sammlung gezwungen fühlte, dem Set ein bestimmtes übergeordnetes Konzept beizumessen.
In seiner Widmung an den Markgrafen von Brandenburg präsentierte sich Bach nach außen hin als der sehr bescheidene und sehr gehorsame Diener des Adligen. Dies war gängige Praxis und entsprach den strengen hierarchischen Regeln der Zeit, nach denen der Adel der Sphäre der Götter zugehörig war; untergeordnete Aufgaben wurden Leuten von niedrigerem sozialen Status, wie Musikern, überlassen. Ein genauerer Blick auf die Musik selbst offenbart jedoch ein auffallend anderes Bild und man fragt sich, ob der Widmungsträger das volle Ausmaß ihrer Auswirkungen tatsächlich verstanden hat. Wenn ja, dann wissen wir mit Sicherheit, warum diese sechs Konzerte in einer Schublade der Hofbibliothek versteckt blieben!
Nach den Ideen von Michael Marissen, wie sie in seinem Buch The Social and Religious Designs of J. S. Bach's Brandeburg Concertos dargelegt sind, bewegen sich die sechs Stücke von einer Darstellung herrschaftlicher Souveränität im ersten Konzert bis hin zu einer eher subversiven Situation im sechsten Konzert, wo die Bratschen, die traditionell mit einem niedrigeren musikalischen Status in Verbindung gebracht werden, die Rolle brillanter Solisten übernehmen und über eine kleine Gruppe tiefer Streicher (Gamben und Celli / Violone) herrschen. Doch hier ging Bach noch einen Schritt weiter: Das Stück wurde am Hof von Köthen geschrieben und aufgeführt, bevor es in die Sammlung der Brandenburgischen Konzerte aufgenommen wurde, und war für eine ganz bestimmte Konfiguration konzipiert. Bachs Arbeitgeber in Köthen, Prinz Leopold, war ein Amateurgambist, der es sicherlich genoss, von Zeit zu Zeit mit Musikern von Bachs Kaliber aufzutreten. Bach, der bescheidene Diener, gehorchte pflichtbewusst, jedoch auch hier mit einer besonderen Wendung: Musikalisch gesehen wird der Prinz im sechsten Brandenburgischen Konzert zu einem bloßen Begleiter degradiert, der aufgefordert ist, mit einfachen wiederholten Achtelnoten die üppige und daher edle Virtuosität der exzentrischen Bratschenstimmen zu unterstützen. Es ist eine auf den Kopf gestellte Welt, wie auch die amüsante Tatsache zeigt, dass die Gambisten die begleitenden wiederholten Achtelnoten im ersten Satz mit entgegengesetzten Bogenstrichen zu denen des Cellos spielen (auf-ab statt ab-auf) und so ihren Amateurstatus optisch offenbaren... Bachs Witz war in der Tat grenzenlos!
Dieses kühne Konzept war sicherlich kein Aufruf zu einer sozialen Revolution, sondern letztlich eher eine subtile Mahnung für den Prinzen, der diesen dramatischen Machtwechsel nur dann wirklich würdigen konnte, wenn er sich der protestantischen Ansicht anschloss, dass die Erlösung im Paradies die wahre Wahrheit hinter unserer eigenen Existenz offenbaren würde: Im Reich Gottes haben soziale Unterschiede zwischen Menschen keine Bedeutung mehr.
Man kann mit Sicherheit sagen, dass Bach, obwohl er sich in der Widmung als demütigen Diener bezeichnete, von einem tief verwurzelten Sinn dafür durchdrungen war, was legitime Autorität wirklich bedeutete, und an die fast religiöse Macht der Musik glaubte. Diese Überzeugung zeigte sich in seinem Privatleben; während der etwa zehn Jahre dauernden Zeit, in der die sechs Konzerte geschrieben wurden, ging Bach sogar lieber ins Gefängnis, als der Macht eines Herzogs nachzugeben! Als er 1717 beschloss, eine bessere Stellung am Hof von Köthen anzunehmen, sperrte ihn der Herzog von Weimar, der Bach in seinen Diensten behalten wollte, in eine Gefängniszelle und ließ ihn erst nach 30 Tagen frei, als ihm klar wurde, dass Bachs Sturheit seine eigene herzogliche Wut überdauern würde.
Dieses Bild des jungen Komponisten (1721 war er 36 Jahre alt) mit seinem starken Willen, seinem starken Temperament und seiner kompromisslosen Bereitschaft, allen unvermeidlichen Konflikten direkt entgegenzutreten, war während der gesamten Aufnahmesitzungen in unseren Köpfen vorherrschend. Es wird deutlich, dass Bachs Kompositionen durch seinen überragenden Einsatz komplexer musikalischer Strategien tatsächlich ein genaues Spiegelbild menschlicher Konflikte und des Potenzials zu ihrer Lösung sind!
Lassen Sie uns dieser Idee durch die sechs Konzerte folgen.
Obwohl die Jagdhörner im Ersten Konzert die Spitze der Machtstruktur einer absoluten Monarchie darstellen - die königliche Jagd ist Symbol und ausschließliches Privileg des Adels -, gelingt es Bach meisterhaft, ihre Macht zu zähmen, indem er die Hörner langsam, aber sicher in die Gesamtstruktur integriert. Die anfänglichen überwältigenden Jagdrufe im ersten Satz haben keinerlei Bezug zum musikalischen Material des Orchesters und der anderen Solisten, doch im Laufe der vier Sätze schlüpfen die Hörner allmählich in die Rolle regulärer Orchestermitglieder, passen sich der anspruchsvollen Sprache ihrer Umgebung an und begleiten das letzte Menuett lediglich mit absichtlich langweiligen Tonwiederholungen.
Im Zweiten Konzert (BWV 1047), wo die Trompete die königliche Autorität noch direkter repräsentiert, entscheidet sich Bach für eine andere Integrationsstrategie. Von Anfang an wird die »edle« Trompete mit drei per Definition weniger angesehenen Soloinstrumenten (Violine, Oboe und Blockflöte) gepaart. Bachs ausgeprägter Sinn für Humor offenbart sich in seiner ganzen Pracht, wenn der Zuhörer erkennt, dass die kühne und unerhört schwierige Passage für die Trompete dasselbe Material ist, mit dem die anderen Solisten im gesamten Stück glänzen, das aber auf ihren jeweiligen Instrumenten vergleichsweise leicht zu spielen ist. Die edle Trompete hat nicht mehr zu sagen als die bescheidene Blockflöte, Oboe oder Violine, muss aber eine fast übermenschliche Anstrengung aufbringen, um es zu sagen!
Das Dritte Konzert (BWV 1048) konfrontiert drei Gruppen von Streicherensembles, darunter nicht weniger als neun unabhängige Linien plus eine Continuo-Linie: Drei Violinen stehen drei Bratschen und drei Celli gegenüber, in einer der vielleicht überzeugendsten Instrumentalkompositionen Bachs. Das offensichtliche Symbol für die Dreifaltigkeit (3 x 3 unabhängige »Solostimmen«) ebnet den Weg für eine Darstellung hochdramatischer Handlung, bei der jede einzelne Stimme die Chance bekommt, eine Soloaussage zu der rhetorisch hoch erregten »Diskussion« beizutragen.
Im vierten Konzert (BWV 1049) werden zwei Blockflöten mit einer Solovioline gepaart. Obwohl der Soloviolinenpart mit seiner extravaganten und unglaublich virtuosen Komposition die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf sich zieht (und das zu Recht), verleiht die ruhige Symbolik der Blockflöte diesem groß angelegten Konzert seinen einzigartigen Stempel. Für den Zuhörer des 18. Jahrhunderts hätte die Blockflöte einerseits Liebe, andererseits aber auch Tod repräsentiert. Dieser Kontrast führt zu überraschenden rhetorischen Ausbrüchen im langsamen Satz, und anstatt nur ein Mittel zu sein, um den weicheren Klang der Blockflöte unterzubringen, könnten die ausgedehnten Unisono-Passagen der beiden Blockflöten im letzten Satz für die symbolische Apotheose der Vereinigung von Liebe (und damit Leben) und Tod stehen. Basierend auf den im 18. Jahrhundert vorherrschenden religiösen Ansichten ist diese abstrakte Symbolik eigentlich nichts Ungewöhnliches. Außergewöhnlich ist die Art und Weise, wie Bach es schafft, diese Ideen ins Spiel zu bringen und dabei ein musikalisches Meisterwerk zu schaffen!
Das Fünfte Brandenburgische Konzert (BWV 1050) wurde höchstwahrscheinlich für einen Besuch Bachs am Dresdner Hof geschrieben, wo er Gelegenheit gehabt haben soll, mit den berühmten Musikern des Hoforchesters aufzutreten. Man kann sich J. S. Bach nicht vorstellen, wie er selbst am Cembalo sitzt und der brillante Solist dieses Fünften Brandenburgischen Konzerts ist. Er ließ sich die Chance, seine eigene virtuose Zauberei zu zeigen, offensichtlich nicht entgehen und überließ der Solovioline und Soloflöte nur relativ zahme Parts. Bach fügt dem ersten Satz sogar eine ausgedehnte Kadenz für Solocembalo hinzu, und wir können uns leicht vorstellen, welche unangenehme Verschiebung der Machtverhältnisse dies verursacht haben muss: Die angesehenen Mitglieder des königlichen Orchesters waren dazu verdammt, schweigend und voller Ehrfurcht zuzuhören, während ihr junger Gast mit seinem exzentrischen Drahtseilakt einen überwältigenden Eindruck machte.
Wie bereits erwähnt, kann das Sechste Konzert (BWV 1051) als letzte Etappe beim Umsturz der etablierten Hierarchie angesehen werden. Wie schon im Ersten Brandenburgischen Konzert BWV 1046 wird in diesem temperamentvollen Stück das soziale Phänomen der königlichen Jagd thematisiert, wenn auch auf ganz andere Weise. Während in BWV 1046 die beiden Hörner eine glorreiche Darstellung von Edelleuten bieten, erhebt das Sechste Konzert zwei Diener (also zwei Bratschen) in den Rang eines Königs: Der virtuose Kanon zu Beginn des ersten Satzes ist nichts anderes als die wörtliche Darstellung einer wilden und höchst aufgeregten Jagd. Erst in den überraschenden Unisono-Passagen der beiden Bratschen in den Tutti-Abschnitten des letzten Satzes wird uns bewusst, dass sich nach der tief kontemplativen Diskussion der beiden Bratschen im zweiten Satz etwas geändert hat. In diesem Satz ist das Thema offensichtlich eine musikalische Darstellung des wichtigsten Symbols des Christentums, nämlich des Kreuzes. Der Hinweis auf eine höhere Macht, die von jenseits der sichtbaren Welt über den Planeten herrscht, ist ein regelmäßiger Bestandteil jeder aufrechten christlichen Predigt. Daher beginnen die unisono gehaltenen Passagen im Schlusssatz der gesamten Sammlung plötzlich Sinn zu ergeben. Es ist, als wollte Bach sagen, dass wir endlich einen gemeinsamen Nenner gefunden haben und dass unser ganzes Leben auf einer einzigen Idee basiert. Nachdem Bach in den Konzerten Fragen weltlicher Macht erkundet hat, stellt er als letzten Schluss die Vorherrschaft religiöser Macht und die Vanitas unseres eigenen sterblichen Wesens fest. Diese Überzeugung teilten alle gläubigen Christen des 18. Jahrhunderts.
Wir können dieser Ansicht zustimmen oder nicht. Letztendlich spielt es aus musikalischer Sicht keine große Rolle. Es ist jedoch wichtig, Bachs thematischen Abschluss als Ergebnis eines Prozesses fortlaufender Transformation und nicht als gegebenen Zustand zu betrachten. Die Musik malt eine reiche Landschaft widersprüchlicher Ideen, die mithilfe der musikalischen Rhetorik, die Bachs meisterhafte Hand so sorgfältig auf die Partitur angewendet hat, im Detail untersucht werden.
Aber was hat Dmitri Schostakowitsch mit Bachs Musik zu tun?
Als der russische Komponist 1950 beim Internationalen Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb in Leipzig als Juror mitwirkte, war er tief beeindruckt von Bachs beiden Sammlungen des Wohltemperierten Klaviers. Nach seiner Rückkehr nach Moskau folgte Schostakowitsch Bachs Beispiel und komponierte seinen eigenen Zyklus aus Präludien und Fugen in allen 24 Tonarten. Obwohl er fest an seiner eigenen musikalischen Sprache mit ihren klanglichen Freiheiten festhält, sorgt seine Verwendung barocker Elemente immer wieder für Überraschungen. Der rhythmische Fluss der unabhängigen Melodielinien scheint Bachs energischen Einsatz komplementärer Rhythmen zu imitieren und verleiht dadurch sowohl den Präludien als auch den Fugen eine große Richtung.
Wir haben für jedes der Brandenburgischen Konzerte ein Präludium von Schostakowitsch ausgewählt und orchestriert. Dem Ersten Brandenburgischen Konzert geht jedoch stattdessen eine Fuge voraus, die wunderbare Fuge Op. 87 Nr. 7. Als Hauch postmodernen Denkens haben wir das für diese Fuge komponierte Präludium als Nachspiel am Ende des Zyklus der Brandenburgischen Konzerte reserviert. Dieses kurze, aber äußerst schöne und kontemplative Stück scheint Schostakowitschs letzter persönlicher Kommentar zu Bachs überwältigender Musik zu sein, aus heutiger Sicht.
Möge dieser Dialog niemals enden!
© Matthias Maute
Doch es scheint tatsächlich unwahrscheinlich, dass diese wunderbare Musik zu Bachs Lebzeiten jemals vom Orchester am Hof des Markgrafen aufgeführt wurde, und wir können nur erstaunt sein über dieses seltsame Schicksal einer der größten Musiksammlungen aller Zeiten.
Die sechs Konzerte wurden zwischen 1712 und 1721 für verschiedene, voneinander unabhängige Anlässe komponiert, aber es entsprach Bachs Natur, dass er sich bei der Zusammenstellung zu einer Sammlung gezwungen fühlte, dem Set ein bestimmtes übergeordnetes Konzept beizumessen.
In seiner Widmung an den Markgrafen von Brandenburg präsentierte sich Bach nach außen hin als der sehr bescheidene und sehr gehorsame Diener des Adligen. Dies war gängige Praxis und entsprach den strengen hierarchischen Regeln der Zeit, nach denen der Adel der Sphäre der Götter zugehörig war; untergeordnete Aufgaben wurden Leuten von niedrigerem sozialen Status, wie Musikern, überlassen. Ein genauerer Blick auf die Musik selbst offenbart jedoch ein auffallend anderes Bild und man fragt sich, ob der Widmungsträger das volle Ausmaß ihrer Auswirkungen tatsächlich verstanden hat. Wenn ja, dann wissen wir mit Sicherheit, warum diese sechs Konzerte in einer Schublade der Hofbibliothek versteckt blieben!
Nach den Ideen von Michael Marissen, wie sie in seinem Buch The Social and Religious Designs of J. S. Bach's Brandeburg Concertos dargelegt sind, bewegen sich die sechs Stücke von einer Darstellung herrschaftlicher Souveränität im ersten Konzert bis hin zu einer eher subversiven Situation im sechsten Konzert, wo die Bratschen, die traditionell mit einem niedrigeren musikalischen Status in Verbindung gebracht werden, die Rolle brillanter Solisten übernehmen und über eine kleine Gruppe tiefer Streicher (Gamben und Celli / Violone) herrschen. Doch hier ging Bach noch einen Schritt weiter: Das Stück wurde am Hof von Köthen geschrieben und aufgeführt, bevor es in die Sammlung der Brandenburgischen Konzerte aufgenommen wurde, und war für eine ganz bestimmte Konfiguration konzipiert. Bachs Arbeitgeber in Köthen, Prinz Leopold, war ein Amateurgambist, der es sicherlich genoss, von Zeit zu Zeit mit Musikern von Bachs Kaliber aufzutreten. Bach, der bescheidene Diener, gehorchte pflichtbewusst, jedoch auch hier mit einer besonderen Wendung: Musikalisch gesehen wird der Prinz im sechsten Brandenburgischen Konzert zu einem bloßen Begleiter degradiert, der aufgefordert ist, mit einfachen wiederholten Achtelnoten die üppige und daher edle Virtuosität der exzentrischen Bratschenstimmen zu unterstützen. Es ist eine auf den Kopf gestellte Welt, wie auch die amüsante Tatsache zeigt, dass die Gambisten die begleitenden wiederholten Achtelnoten im ersten Satz mit entgegengesetzten Bogenstrichen zu denen des Cellos spielen (auf-ab statt ab-auf) und so ihren Amateurstatus optisch offenbaren... Bachs Witz war in der Tat grenzenlos!
Dieses kühne Konzept war sicherlich kein Aufruf zu einer sozialen Revolution, sondern letztlich eher eine subtile Mahnung für den Prinzen, der diesen dramatischen Machtwechsel nur dann wirklich würdigen konnte, wenn er sich der protestantischen Ansicht anschloss, dass die Erlösung im Paradies die wahre Wahrheit hinter unserer eigenen Existenz offenbaren würde: Im Reich Gottes haben soziale Unterschiede zwischen Menschen keine Bedeutung mehr.
Man kann mit Sicherheit sagen, dass Bach, obwohl er sich in der Widmung als demütigen Diener bezeichnete, von einem tief verwurzelten Sinn dafür durchdrungen war, was legitime Autorität wirklich bedeutete, und an die fast religiöse Macht der Musik glaubte. Diese Überzeugung zeigte sich in seinem Privatleben; während der etwa zehn Jahre dauernden Zeit, in der die sechs Konzerte geschrieben wurden, ging Bach sogar lieber ins Gefängnis, als der Macht eines Herzogs nachzugeben! Als er 1717 beschloss, eine bessere Stellung am Hof von Köthen anzunehmen, sperrte ihn der Herzog von Weimar, der Bach in seinen Diensten behalten wollte, in eine Gefängniszelle und ließ ihn erst nach 30 Tagen frei, als ihm klar wurde, dass Bachs Sturheit seine eigene herzogliche Wut überdauern würde.
Dieses Bild des jungen Komponisten (1721 war er 36 Jahre alt) mit seinem starken Willen, seinem starken Temperament und seiner kompromisslosen Bereitschaft, allen unvermeidlichen Konflikten direkt entgegenzutreten, war während der gesamten Aufnahmesitzungen in unseren Köpfen vorherrschend. Es wird deutlich, dass Bachs Kompositionen durch seinen überragenden Einsatz komplexer musikalischer Strategien tatsächlich ein genaues Spiegelbild menschlicher Konflikte und des Potenzials zu ihrer Lösung sind!
Lassen Sie uns dieser Idee durch die sechs Konzerte folgen.
Obwohl die Jagdhörner im Ersten Konzert die Spitze der Machtstruktur einer absoluten Monarchie darstellen - die königliche Jagd ist Symbol und ausschließliches Privileg des Adels -, gelingt es Bach meisterhaft, ihre Macht zu zähmen, indem er die Hörner langsam, aber sicher in die Gesamtstruktur integriert. Die anfänglichen überwältigenden Jagdrufe im ersten Satz haben keinerlei Bezug zum musikalischen Material des Orchesters und der anderen Solisten, doch im Laufe der vier Sätze schlüpfen die Hörner allmählich in die Rolle regulärer Orchestermitglieder, passen sich der anspruchsvollen Sprache ihrer Umgebung an und begleiten das letzte Menuett lediglich mit absichtlich langweiligen Tonwiederholungen.
Im Zweiten Konzert (BWV 1047), wo die Trompete die königliche Autorität noch direkter repräsentiert, entscheidet sich Bach für eine andere Integrationsstrategie. Von Anfang an wird die »edle« Trompete mit drei per Definition weniger angesehenen Soloinstrumenten (Violine, Oboe und Blockflöte) gepaart. Bachs ausgeprägter Sinn für Humor offenbart sich in seiner ganzen Pracht, wenn der Zuhörer erkennt, dass die kühne und unerhört schwierige Passage für die Trompete dasselbe Material ist, mit dem die anderen Solisten im gesamten Stück glänzen, das aber auf ihren jeweiligen Instrumenten vergleichsweise leicht zu spielen ist. Die edle Trompete hat nicht mehr zu sagen als die bescheidene Blockflöte, Oboe oder Violine, muss aber eine fast übermenschliche Anstrengung aufbringen, um es zu sagen!
Das Dritte Konzert (BWV 1048) konfrontiert drei Gruppen von Streicherensembles, darunter nicht weniger als neun unabhängige Linien plus eine Continuo-Linie: Drei Violinen stehen drei Bratschen und drei Celli gegenüber, in einer der vielleicht überzeugendsten Instrumentalkompositionen Bachs. Das offensichtliche Symbol für die Dreifaltigkeit (3 x 3 unabhängige »Solostimmen«) ebnet den Weg für eine Darstellung hochdramatischer Handlung, bei der jede einzelne Stimme die Chance bekommt, eine Soloaussage zu der rhetorisch hoch erregten »Diskussion« beizutragen.
Im vierten Konzert (BWV 1049) werden zwei Blockflöten mit einer Solovioline gepaart. Obwohl der Soloviolinenpart mit seiner extravaganten und unglaublich virtuosen Komposition die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf sich zieht (und das zu Recht), verleiht die ruhige Symbolik der Blockflöte diesem groß angelegten Konzert seinen einzigartigen Stempel. Für den Zuhörer des 18. Jahrhunderts hätte die Blockflöte einerseits Liebe, andererseits aber auch Tod repräsentiert. Dieser Kontrast führt zu überraschenden rhetorischen Ausbrüchen im langsamen Satz, und anstatt nur ein Mittel zu sein, um den weicheren Klang der Blockflöte unterzubringen, könnten die ausgedehnten Unisono-Passagen der beiden Blockflöten im letzten Satz für die symbolische Apotheose der Vereinigung von Liebe (und damit Leben) und Tod stehen. Basierend auf den im 18. Jahrhundert vorherrschenden religiösen Ansichten ist diese abstrakte Symbolik eigentlich nichts Ungewöhnliches. Außergewöhnlich ist die Art und Weise, wie Bach es schafft, diese Ideen ins Spiel zu bringen und dabei ein musikalisches Meisterwerk zu schaffen!
Das Fünfte Brandenburgische Konzert (BWV 1050) wurde höchstwahrscheinlich für einen Besuch Bachs am Dresdner Hof geschrieben, wo er Gelegenheit gehabt haben soll, mit den berühmten Musikern des Hoforchesters aufzutreten. Man kann sich J. S. Bach nicht vorstellen, wie er selbst am Cembalo sitzt und der brillante Solist dieses Fünften Brandenburgischen Konzerts ist. Er ließ sich die Chance, seine eigene virtuose Zauberei zu zeigen, offensichtlich nicht entgehen und überließ der Solovioline und Soloflöte nur relativ zahme Parts. Bach fügt dem ersten Satz sogar eine ausgedehnte Kadenz für Solocembalo hinzu, und wir können uns leicht vorstellen, welche unangenehme Verschiebung der Machtverhältnisse dies verursacht haben muss: Die angesehenen Mitglieder des königlichen Orchesters waren dazu verdammt, schweigend und voller Ehrfurcht zuzuhören, während ihr junger Gast mit seinem exzentrischen Drahtseilakt einen überwältigenden Eindruck machte.
Wie bereits erwähnt, kann das Sechste Konzert (BWV 1051) als letzte Etappe beim Umsturz der etablierten Hierarchie angesehen werden. Wie schon im Ersten Brandenburgischen Konzert BWV 1046 wird in diesem temperamentvollen Stück das soziale Phänomen der königlichen Jagd thematisiert, wenn auch auf ganz andere Weise. Während in BWV 1046 die beiden Hörner eine glorreiche Darstellung von Edelleuten bieten, erhebt das Sechste Konzert zwei Diener (also zwei Bratschen) in den Rang eines Königs: Der virtuose Kanon zu Beginn des ersten Satzes ist nichts anderes als die wörtliche Darstellung einer wilden und höchst aufgeregten Jagd. Erst in den überraschenden Unisono-Passagen der beiden Bratschen in den Tutti-Abschnitten des letzten Satzes wird uns bewusst, dass sich nach der tief kontemplativen Diskussion der beiden Bratschen im zweiten Satz etwas geändert hat. In diesem Satz ist das Thema offensichtlich eine musikalische Darstellung des wichtigsten Symbols des Christentums, nämlich des Kreuzes. Der Hinweis auf eine höhere Macht, die von jenseits der sichtbaren Welt über den Planeten herrscht, ist ein regelmäßiger Bestandteil jeder aufrechten christlichen Predigt. Daher beginnen die unisono gehaltenen Passagen im Schlusssatz der gesamten Sammlung plötzlich Sinn zu ergeben. Es ist, als wollte Bach sagen, dass wir endlich einen gemeinsamen Nenner gefunden haben und dass unser ganzes Leben auf einer einzigen Idee basiert. Nachdem Bach in den Konzerten Fragen weltlicher Macht erkundet hat, stellt er als letzten Schluss die Vorherrschaft religiöser Macht und die Vanitas unseres eigenen sterblichen Wesens fest. Diese Überzeugung teilten alle gläubigen Christen des 18. Jahrhunderts.
Wir können dieser Ansicht zustimmen oder nicht. Letztendlich spielt es aus musikalischer Sicht keine große Rolle. Es ist jedoch wichtig, Bachs thematischen Abschluss als Ergebnis eines Prozesses fortlaufender Transformation und nicht als gegebenen Zustand zu betrachten. Die Musik malt eine reiche Landschaft widersprüchlicher Ideen, die mithilfe der musikalischen Rhetorik, die Bachs meisterhafte Hand so sorgfältig auf die Partitur angewendet hat, im Detail untersucht werden.
Aber was hat Dmitri Schostakowitsch mit Bachs Musik zu tun?
Als der russische Komponist 1950 beim Internationalen Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb in Leipzig als Juror mitwirkte, war er tief beeindruckt von Bachs beiden Sammlungen des Wohltemperierten Klaviers. Nach seiner Rückkehr nach Moskau folgte Schostakowitsch Bachs Beispiel und komponierte seinen eigenen Zyklus aus Präludien und Fugen in allen 24 Tonarten. Obwohl er fest an seiner eigenen musikalischen Sprache mit ihren klanglichen Freiheiten festhält, sorgt seine Verwendung barocker Elemente immer wieder für Überraschungen. Der rhythmische Fluss der unabhängigen Melodielinien scheint Bachs energischen Einsatz komplementärer Rhythmen zu imitieren und verleiht dadurch sowohl den Präludien als auch den Fugen eine große Richtung.
Wir haben für jedes der Brandenburgischen Konzerte ein Präludium von Schostakowitsch ausgewählt und orchestriert. Dem Ersten Brandenburgischen Konzert geht jedoch stattdessen eine Fuge voraus, die wunderbare Fuge Op. 87 Nr. 7. Als Hauch postmodernen Denkens haben wir das für diese Fuge komponierte Präludium als Nachspiel am Ende des Zyklus der Brandenburgischen Konzerte reserviert. Dieses kurze, aber äußerst schöne und kontemplative Stück scheint Schostakowitschs letzter persönlicher Kommentar zu Bachs überwältigender Musik zu sein, aus heutiger Sicht.
Möge dieser Dialog niemals enden!
© Matthias Maute
- Tracklisting
- Details
- Mitwirkende
Disk 1 von 2 (CD)
Präludien und Fugen op. 87 Nr. 1-24 (Auszug) (bearb. für Orchester von Natthias Maute)
- 1 Fugue Nr. 7
Brandenburgisches Konzert Nr. 1 F-Dur BWV 1046
- 2 1. Allegro
- 3 2. Adagio
- 4 3. Allegro
- 5 4. Menuetto
Präludien und Fugen op. 87 Nr. 1-24 (Auszug) (bearb. für Orchester von Natthias Maute)
- 6 Prelude Nr. 18
Brandenburgisches Konzert Nr. 2 F-Dur BWV 1047
- 7 1. Allegro
- 8 2. Andante
- 9 3. Allegro assai
Präludien und Fugen op. 87 Nr. 1-24 (Auszug) (bearb. für Orchester von Natthias Maute)
- 10 Prelude Nr. 4
Brandenburgisches Konzert Nr. 3 G-Dur BWV 1048
- 11 1. Allegro
- 12 2. Adagio
- 13 3. Allegro
Disk 2 von 2 (CD)
Präludien und Fugen op. 87 Nr. 1-24 (Auszug) (bearb. für Orchester von Natthias Maute)
- 1 Prelude Nr. 5
Brandenburgisches Konzert Nr. 4 G-Dur BWV 1049
- 2 1. Allegro
- 3 2. Andante
- 4 3. Presto
Präludien und Fugen op. 87 Nr. 1-24 (Auszug) (bearb. für Orchester von Natthias Maute)
- 5 Prelude Nr. 2
Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050
- 6 1. Allegro
- 7 2. Affettuoso
- 8 3. Allegro
Präludien und Fugen op. 87 Nr. 1-24 (Auszug) (bearb. für Orchester von Natthias Maute)
- 9 Prelude Nr. 11
Brandenburgisches Konzert Nr. 6 B-Dur BWV 1051
- 10 1. Allegro
- 11 2. Adagio ma non tanto
- 12 3. Allegro
Präludien und Fugen op. 87 Nr. 1-24 (Auszug) (bearb. für Orchester von Natthias Maute)
- 13 Prelude Nr. 7
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