Hilliard Ensemble & Jan Garbarek - Officium
Hilliard Ensemble & Jan Garbarek - Officium
Mit Werken von:
Cristobal de Morales (1500-1553)
, Pierre de la Rue (1460-1518)
, Perotinus Magnus (1165-1220)
, Guillaume Dufay (1400-1474)
, Anonymus
Mitwirkende:
Jan Garbarek, Hilliard Ensemble
CD
CD (Compact Disc)
Herkömmliche CD, die mit allen CD-Playern und Computerlaufwerken, aber auch mit den meisten SACD- oder Multiplayern abspielbar ist.
-
Vokalwerke des 13.-16.Jh. von Morales, De la Rue, Perotin, Dufay & anonymen Meistern. Mit Saxophon-Improvisationen von Jan Garbarek über den Vokalsätzen.
Morales: Parce mihi domine; Parce mihi domine (2 Versionen)
+Anonymus: Primo tempore; Sanctus; Regnantem sempiterna; Procedentem sponsum; Pulcherrima rosa; De spineto nata rosa; Credo: Vorgp föageööatir: Pratop Oere, oae
+Rue: O salutaris hostia
+Perotin: Beata viscera
+Dufay: Ave maris stella
- Künstler: Jan Garbarek, Hilliard Ensemble
- Label: ECM, DDD, 1993
- Bestellnummer: 7162716
- Erscheinungstermin: 20.9.1994
- Serie: ECM Records
Weitere Ausgaben von Hilliard Ensemble & Jan Garbarek - Officium
Manchmal umgeht die Musik alle anderen Fähigkeiten und dringt direkt in unsere Seele vor. Sie entzieht sich intellektuellen Spielchen, nimmt kritischen Akrobaten das Sicherheitsnetz unter den Füßen weg und sucht nicht nach einer Rechtfertigung für ihre Wirkung. Zu sagen, dass Officium Novum eine solche Musik ist, wäre eine so grobe Untertreibung, wie sie mir wahrscheinlich nie einfallen wird. Die Leistungen des Hilliard Ensembles und des Saxophonisten Jan Garbarek auf den Vorgängeralben Officium und Mnemosyne müssen kaum betont werden. Sie waren nichts weniger als erstaunlich, denn sie verschmolzen vermeintlich unvereinbare Signaturen zu einem Klang, der seinesgleichen sucht. Doch dieses dritte Werk des Projekts zeichnet sich durch eine deutliche Trennung der Stimmen aus, die unsere Ohren und Herzen mehr in Richtung Osteuropa und weiter nach Armenien führt.
Die vielseitigen volkstümlichen und liturgischen Arrangements von Komitas Vardapet (1869-1935) - dessen Musik bereits auf Kim Kashkashians Hayren in den Zuständigkeitsbereich von ECM fiel - bilden das zentrale Nervensystem des Albums, wenn auch nirgends mehr als in "Ov zarmanali", einer Taufhymne, die mit Garbareks Soloeinleitung die oben erwähnte Trennung von Anfang an zum Thema macht. Im Raspeln seines Rohrblattes atmet eine Erinnerung an die Natur, so dass der Auftritt der Hilliards eine Fantasie spinnt, die im Hier und Jetzt nie Fuß fassen kann, da sie wie ein Gefangener in seiner Zelle in der Vergangenheit herumwandern muss. Nichtsdestotrotz herrscht Heiligkeit, wie es der byzantinische Gesang "Svjete tihij" (Schönes Licht) aus dem dritten Jahrhundert prophezeit, der seine Leuchtkraft opfert, als er durch das vergitterte Fenster geschnitten wird. Sein vokales Blut wärmt später den Körper von Arvo Pärts "Most Holy Mother of God" (Heiligste Mutter Gottes), das 2003 für die Hilliards geschrieben wurde, und schließt so mit seinen abschließenden Dissonanzen einen göttlichen Kreis.
Trennungen gibt es auch in anderen Komitas-Stücken, wenn Garbarek das volle gesangliche Gewicht von "Surb, Surb" trägt und in "Hays hark nviranats ukhti" über Taufelder streicht, was nur noch einmal von Countertenor David James im "Sirt im sasani" (Hymnus für Gründonnerstag) übertroffen wird. Wie zwei Flügel, die an ein und demselben Körper befestigt sind, sind sie zwar nominell getrennt, aber durch Gedanken, Instinkt und Handlung miteinander verbunden. Solche Anklänge von Unabhängigkeit deutet auch das Coverfoto des Albums an, das einen einsamen Ausreißer zeigt, der seinen Mitmenschen den Rücken zuwendet, aber durch das Licht auf dem Wasser mit ihnen verbunden ist. Selbst diese Spiegelung weist einen horizontalen Schattenriss auf: eine Spalte einer aufkommenden Welle, die sich ihren Weg zum Ufer bahnt.
Das Herzblut von Officium Novum fließt durch die "Litanei", ein dreikammeriges Herz aus russischen, rumänischen und anonymen Quellen. Im Zentrum steht "Otche nash", das aus der Tradition der lippischen Altgläubigen stammt und von Bariton Gordon Jones allein gesungen wird, bevor Garbarek den Hintergrund eines anonymen "Dostoino est" auf unheimliche Weise ähnlich wie bei der ersten Zusammenarbeit im Jahr 1993 einfädelt. Ein weiteres anonymes Relikt, dieses aus dem Spanien des 16. Jahrhunderts, stützt die Architektur von "Tres morillas m'enamoran". Das Stück, das schon auf vielen Renaissance-Platten zu hören war, wird in der aktuellen Fassung zu neuem Leben erweckt und scheint uns eher aus der Zukunft als aus der Vergangenheit zu erreichen. Hier beginnen die Trennungen aufzuweichen, denn Garbarek harmonisiert zunächst eher sanft, bevor er mit vogelartiger Anmut durch die Stimmen und um sie herum schwebt. Atemzüge zwischen den Strophen verleihen eine reflektierende, antiphonale Qualität, wie sie auch in Pérotins "Alleluia. Nativitas", das seit seinem Erscheinen bei Mnemosyne neu vertont wurde. Es ist fröhlich, fast unpassend inmitten dieser monochromen Brüder, aber es gibt dem Licht, aus dem es Fleisch für Knochen macht, einen Namen.
Zwei Stücke von Jan Garbarek vervollständigen den musikalischen Anteil des Albums. "Allting finns" (Alles, was es gibt) verwandelt "Den döde" (Der Tote), ein Gedicht des schwedischen Schriftstellers Pär Lagerkvist (1891-1974), in ein wunderschönes interpretatorisches Metallwerk, das durch die Alchemie der paramusikalischen Elemente des Komponisten veredelt wird, während "We are the stars" (basierend auf einem indianischen Gedicht des Passamaquoddy-Volkes) seit seinem letzten Erscheinen auf RITES in eine vollständig verkörperte Seele verwandelt wird, deren Worte und bloße Zusammenhänge ein Gewebe für sich bilden. Garbareks Spiel ist so respektvoll, dass es über Wasser läuft und uns zu Bruno Ganz' Lesung von "Nur ein Weniges noch" von Giorgos Seferis (1900-1971) führt, mit der das Programm endet. Sowohl der Erzähler als auch der Dichter sind wiederkehrende Bezugspunkte im ECM-Korpus. Durch ihre Tugendhaftigkeit bleibt uns ein weit übergreifender Blick auf die (un)materielle Welt und eine einzige Botschaft, die nachhallt: Mögest du gesegnet sein, gefunden zu werden.
T. Urbach in FonoForum 11/94: "Stern des Monats. Dabei hat sich das renommierte Hilliard Ensemble mit dem Jazz-Saxophonisten Jan Garbarek zusammengetan. So entstehen helle, lichte Klangräume, in denen die alten Gesänge in eigentümlicher Färbung aufscheinen. Die Musik dieser CD beweist nichts; sie entwirft sich aus einer zutiefst nach innen gewandten Durchdringung von Vokalem und Instrumentalem; ihre Schlichtheit, ihre Zurückhaltung macht sie zu gelebter Erfahrung. "
Die vielseitigen volkstümlichen und liturgischen Arrangements von Komitas Vardapet (1869-1935) - dessen Musik bereits auf Kim Kashkashians Hayren in den Zuständigkeitsbereich von ECM fiel - bilden das zentrale Nervensystem des Albums, wenn auch nirgends mehr als in "Ov zarmanali", einer Taufhymne, die mit Garbareks Soloeinleitung die oben erwähnte Trennung von Anfang an zum Thema macht. Im Raspeln seines Rohrblattes atmet eine Erinnerung an die Natur, so dass der Auftritt der Hilliards eine Fantasie spinnt, die im Hier und Jetzt nie Fuß fassen kann, da sie wie ein Gefangener in seiner Zelle in der Vergangenheit herumwandern muss. Nichtsdestotrotz herrscht Heiligkeit, wie es der byzantinische Gesang "Svjete tihij" (Schönes Licht) aus dem dritten Jahrhundert prophezeit, der seine Leuchtkraft opfert, als er durch das vergitterte Fenster geschnitten wird. Sein vokales Blut wärmt später den Körper von Arvo Pärts "Most Holy Mother of God" (Heiligste Mutter Gottes), das 2003 für die Hilliards geschrieben wurde, und schließt so mit seinen abschließenden Dissonanzen einen göttlichen Kreis.
Trennungen gibt es auch in anderen Komitas-Stücken, wenn Garbarek das volle gesangliche Gewicht von "Surb, Surb" trägt und in "Hays hark nviranats ukhti" über Taufelder streicht, was nur noch einmal von Countertenor David James im "Sirt im sasani" (Hymnus für Gründonnerstag) übertroffen wird. Wie zwei Flügel, die an ein und demselben Körper befestigt sind, sind sie zwar nominell getrennt, aber durch Gedanken, Instinkt und Handlung miteinander verbunden. Solche Anklänge von Unabhängigkeit deutet auch das Coverfoto des Albums an, das einen einsamen Ausreißer zeigt, der seinen Mitmenschen den Rücken zuwendet, aber durch das Licht auf dem Wasser mit ihnen verbunden ist. Selbst diese Spiegelung weist einen horizontalen Schattenriss auf: eine Spalte einer aufkommenden Welle, die sich ihren Weg zum Ufer bahnt.
Das Herzblut von Officium Novum fließt durch die "Litanei", ein dreikammeriges Herz aus russischen, rumänischen und anonymen Quellen. Im Zentrum steht "Otche nash", das aus der Tradition der lippischen Altgläubigen stammt und von Bariton Gordon Jones allein gesungen wird, bevor Garbarek den Hintergrund eines anonymen "Dostoino est" auf unheimliche Weise ähnlich wie bei der ersten Zusammenarbeit im Jahr 1993 einfädelt. Ein weiteres anonymes Relikt, dieses aus dem Spanien des 16. Jahrhunderts, stützt die Architektur von "Tres morillas m'enamoran". Das Stück, das schon auf vielen Renaissance-Platten zu hören war, wird in der aktuellen Fassung zu neuem Leben erweckt und scheint uns eher aus der Zukunft als aus der Vergangenheit zu erreichen. Hier beginnen die Trennungen aufzuweichen, denn Garbarek harmonisiert zunächst eher sanft, bevor er mit vogelartiger Anmut durch die Stimmen und um sie herum schwebt. Atemzüge zwischen den Strophen verleihen eine reflektierende, antiphonale Qualität, wie sie auch in Pérotins "Alleluia. Nativitas", das seit seinem Erscheinen bei Mnemosyne neu vertont wurde. Es ist fröhlich, fast unpassend inmitten dieser monochromen Brüder, aber es gibt dem Licht, aus dem es Fleisch für Knochen macht, einen Namen.
Zwei Stücke von Jan Garbarek vervollständigen den musikalischen Anteil des Albums. "Allting finns" (Alles, was es gibt) verwandelt "Den döde" (Der Tote), ein Gedicht des schwedischen Schriftstellers Pär Lagerkvist (1891-1974), in ein wunderschönes interpretatorisches Metallwerk, das durch die Alchemie der paramusikalischen Elemente des Komponisten veredelt wird, während "We are the stars" (basierend auf einem indianischen Gedicht des Passamaquoddy-Volkes) seit seinem letzten Erscheinen auf RITES in eine vollständig verkörperte Seele verwandelt wird, deren Worte und bloße Zusammenhänge ein Gewebe für sich bilden. Garbareks Spiel ist so respektvoll, dass es über Wasser läuft und uns zu Bruno Ganz' Lesung von "Nur ein Weniges noch" von Giorgos Seferis (1900-1971) führt, mit der das Programm endet. Sowohl der Erzähler als auch der Dichter sind wiederkehrende Bezugspunkte im ECM-Korpus. Durch ihre Tugendhaftigkeit bleibt uns ein weit übergreifender Blick auf die (un)materielle Welt und eine einzige Botschaft, die nachhallt: Mögest du gesegnet sein, gefunden zu werden.
Rezensionen
T. Urbach in FonoForum 11/94: "Stern des Monats. Dabei hat sich das renommierte Hilliard Ensemble mit dem Jazz-Saxophonisten Jan Garbarek zusammengetan. So entstehen helle, lichte Klangräume, in denen die alten Gesänge in eigentümlicher Färbung aufscheinen. Die Musik dieser CD beweist nichts; sie entwirft sich aus einer zutiefst nach innen gewandten Durchdringung von Vokalem und Instrumentalem; ihre Schlichtheit, ihre Zurückhaltung macht sie zu gelebter Erfahrung. "
- Tracklisting
- Mitwirkende
Disk 1 von 1 (CD)
- 1 Cristobal de Morales: Parce mihi domine
- 2 Primo tempore
- 3 Sanctus
- 4 Regnantem sempiterna
- 5 O salutaris hostia
- 6 Procedentem sponsum
- 7 Anonymous: Pulcherrima rosa
- 8 Cristobal de Morales: Parce mihi domine
- 9 Beata viscera
- 10 De spineto nata rosa
- 11 Credo
- 12 Ave maris stella
- 13 Virgo flagellatur
- 14 Oratio Ieremiae
- 15 Cristobal de Morales: Parce mihi domine
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