Antonio Vivaldi: Orlando finto Pazzo RV 727 auf 3 CDs

Der letzte Frühling der venezianischen Oper
1714 war ein erfolgreiches Jahr für Vivaldi: Am 4. Mai, seinem 36. Geburtstag, war er als maestro de’ concerti des Ospedale della Pietà mit einer komfortablen Stimmenmehrheit bestätigt worden, überdies hatte er dort mit seinen Schülern sein erstes Oratorium Moyses Deus Pharaonis aufgeführt. In Amsterdam kam seine Sammlung La Stravaganza im Druck heraus, und überhaupt brachte das Jahr Früchte eines stetig wachsenden Ruhms in Europa. Im sächsischen Pirna begeisterte sich der 17jährige Quantz für Vivaldis Concerti und machte sie zum Fundament seines eigenen Stils, in London wurden Opernarien des Venezianers in das Pasticcio Arminio eingefügt und dem Publikum des King’s Theatre zu Gehör gebracht, und in Venedig selbst war der berühmte deutsche Komponist Gottfried Heinrich Stölzel in die Stadt gekommen, um Benedetto Marcello aufzusuchen, doch beeilte sich Stölzel, dem prete rosso ebenfalls seine Aufwartung zu machen.

Als größten Erfolg des Jahres konnte Vivaldi indes die Premiere seiner Oper Orlando finto pazzo auf der Bühne des Teatro S. Angelo verbuchen. Diese erste venezianische Oper legte den Grundstein für eine glühende künstlerische Liebesaffäre zwischen dem Komponisten und den Theatern der Serenissima, die ein Vierteljahrhundert andauern sollte.

Bis dahin war Vivaldi dem venezianischen Publikum in erster Linie als Violinlehrer und Komponist von Instrumentalmusik bekannt gewesen, Berühmtheit hatte er auch als Virtuose auf der Violine und Viola d’amore erlangt. Der Welt des Theaters näherte er sich erst spät und mit sorgfältiger Karriereplanung an. Zunächst erkundete er die venezianischen Opernhäuser mit Hilfe seines Vaters, der als Orchestergeiger und Komponist tätig war, und möglicherweise auch mit der Protektion des berühmten Francesco Gasparini, des unbestrittenen Meisters der venezianischen Oper.

Nach einigen Jahren stillen Lernens trat er aus dem Schatten heraus, zunächst in das milde Licht der venetischen Provinz: Vicenza sah 1713 die Premiere seiner ersten bekannten Oper Ottone in villa. Dem Publikum Venedigs präsentierte sich Vivaldi zunächst als Impresario am Teatro S. Angelo, in der Herbstsaison 1713 wirkte er als Organisator, Programmplaner, Arrangeur und Komponist, doch alles unter der Maske der Absichtslosigkeit. Die Premiere von Orlando finto pazzo im folgenden Jahr sollte seine geduldige Strategie mit einem fulminanten Erfolg krönen.

Schon seit seinen ersten Kompositionen im Jahr 1703 hatte Vivaldi einen sicheren Sinn für dramatische Wirkungen in der Musik gezeigt, seine Instrumentalmusik war voller expressiver Theatralik, eine Oper ohne Worte. Übertragen auf ein Bühnenwerk, war sein theatralische Genie geradezu berufen, der dahinsiechenden venezianischen Oper mit Orlando finto pazzo neues Leben einzuhauchen. Vivaldi bot für seine Premiere eine echte Starbesetzung auf. Als Orlando agierte der gefeierte Baß Anton Francesco Carli, der eigentlich fest mit dem Konkurrenztheater San Giovanni Crisostomo verbunden war und eigens für Vivaldi bereit war, am Teatro S. Angelo zu singen; die Rolle der Zauberin wurde von der für ihre Exzentrizität gefürchteten Margherita Gualandi gesungen, die unter dem Namen La Campoli ein Weltstar war; und als Argillano trat der Kastrat Andrea Pacini auf, der seit 1708 nicht mehr in Venedig gesungen hatte. Vivaldi holte diesen außerordentlich talentierten jungen Sänger für Orlando finto pazzo aus Neapel, wo er der Publikumsliebling in den Opern von Alessandro Scarlatti und Francesco Mancini war. Die übrigen Rollen wurden mit vielversprechenden jungen Talenten besetzt, so dass die Besetzung eine ideale Mischung aus erfahrenen Opernsängern und aufstrebenden Nachwuchskünstlern darstellte.

Unglücklicherweise sind keinerlei Nachrichten von der Aufnahme der ersten Opernpremiere Vivaldis in seiner Heimatstadt durch das Publikum erhalten geblieben. Dies hat bei einigen Musikwissenschaftlern zu der These geführt, Orlando finto pazzo sei beim Publikum durchgefallen. Als weitere Belege werden Vivaldis zahlreiche Eingriffe in die Partitur angeführt sowie der Umstand, daß die Oper bereits im Dezember wieder aus dem Programm verschwand. Die Sachlage ist allerdings keinesfalls so klar, Vivaldi hat auch später seine Opern im Lauf einer Aufführungsserie immer wieder umgearbeitet, die vielen Veränderungen deuten also eher auf zahlreiche Vorstellungen hin. Auf diesem Hintergrund entsprach es auch völlig den venezianischen Gepflogenheiten, eine Erfolgsserie durch Programmwechsel zu beenden, ehe sich ein Ende des Triumphes abzeichnete. So schlagkräftig sind die Argumente für einen Misserfolg von Vivaldis Premiere als Opernkomponist in Venedig also nicht. Und, wie würde sich sein langer und ungebrochener Erfolg auf den Bühnen seiner Heimatstadt erklären, wenn seine erste Oper durchgefallen wäre? Mit Vivaldi geht die jahrhundertelange Geschichte des venezianischen Opernstils zuende. Nach ihm eroberten die Neapolitaner die Opernhäuser der Lagunenstadt und ersetzten ihr althergebrachtes künstlerisches Idiom durch den galanten Stil. Vivaldi hatte der venezianischen Oper einen letzten Frühling beschert.

Rezensionen

"Wer noch nicht zum Barockopernfan geworden ist, wird es garantiert mit den Vivaldi-Entdeckungen des Labels opus 111: Tolle Stücke, großartige Interpreten – hier stimmt einfach alles." DER TAGESSPIEGEL

"Hier stimmt einfach alles" DER TAGESSPIEGEL