Bill Evans (Piano): Momentum auf 2 CDs

Der im Englischen “Schwung, Wucht, Stosskraft" bedeutende Albumtitel der erst 32 Jahre nach dem Tod des Pianisten veröffentlichten Doppel-CD geht auf einen Vorschlag seiner Witwe zurück. Er habe nämlich 1972 gesundheitlich, persönlich und künstlerisch “a momentous upswing" erlebt. Laut der sehr lesenswerten Evans-Biographie des Konzertpianisten Peter Pettinger ,,How My Heart Sings" hatte sich Evans zu diesem Zeitpunkt schon seit 2 Jahren – aber leider nicht dauerhaft - von seinem starken Drogenkonsum befreien können, war allerdings jedoch noch auf Methadon angewiesen. Besonders exemplarisch für dieses „momentum” ist die neue Version von “Gloria's Step". Aus dem leicht melancholisch-verträumten Glanzstück der legendären “Village Vanguard "- Aufnahmen vom Juni 1961 ist nun ein entfesseltes künstlerisches Powerstück in rasantem Uptempo geworden, in dem er - auch wenn das in Bezug auf seine privaten Probleme wie ein etwas makabres Wortspiel erscheinen mag - wie im Rausch spielt. Exemplarisch ist hier auch der solistische Freiraum, den er seinen beiden Mitmusikern, dem Schlagzeuger Marty Morell und vor allem dem Bassisten Eddie Gomez, einräumt, so dass sich dadurch für die beiden ein Ausmaß an Mitgestaltung ergibt, das die von Anfang an bahnbrechende und vielgepriesene intensive Interaktion der früheren Evans Trios noch deutlich übersteigt. Ähnlich verhält es sich hier mit “My Romance".
Aus dem romantischen Love-Song von Rogers & Hart, der vor allem durch Bill Evans' empfindsame Interpretation in den “Village Vanguard "- Aufnahmen von 1961 erst zu einem Standard wurde, ist hier - wie auch später noch oft - ein ganz unromantisches Showpiece für Bass und Schlagzeug geworden. Gleichermaßen ist in den übrigen Stücken insgesamt die subtil-schwelgerische, gefühlvoll-sensible und äußerst wohlklingende Melodien- und Klangfülle des Bill Evans der frühen 60er- Jahre inzwischen teilweise einer etwas strengeren, durch einen markanteren Anschlag dynamisierten und harmonisch moderneren Melodieführung gewichen, wobei aber immer noch das grandiose, polyphone sowie akkord- und kontrastreiche Zusammenspiel der rechten und linken Hand die einzigartige Kombination von komplexem Harmonienreichtum und betörender melodiöser Schönheit bewirkt. Natürlich drängt sich ein Vergleich mit der gleichzeitig und ebenfalls zum ersten Mal veröffentlichen Doppel-CD Bill Evans Live At Art D'Lugoff's Top Of The Gate von 1968 (vgl. JP 6 / 2012) geradezu auf, zumal sie dieselbe Besetzung aufweist. Bei dem europäischen Konzertmitschnitt ist das Repertoire individueller, indem es viel weniger Standards und mehr Eigenkompositionen bietet. Das weit über die Timekeeper-Funktion hinaus gehende kollektive simultane Improvisieren und solistische Hervortreten von Bass und Schlagzeug ist hier deutlich noch ausgeprägter. Und vielleicht erklärt auch das sehr unterschiedliche Ambiente - hier der große Konzertsaal mit andächtig lauschenden europäischen Zuhörern, dort das New Yorker Jazz-Restaurant mit z. T. hörbar sich während der Musik unterhaltenden Gästen -, dass die großartige, musikalisch wie technisch brillante Pianokunst von Bill Evans auf Momentum mit größerer, durchgehenderer Konstanz auf allerhöchstem Niveau zu hören ist!
Heistrüvers, Jazzpodium

Product Information

A double-sized set of live Bill Evans material from the early 70s – a great amount of material that showcases a time when Evans had an especially fluid, open touch on the keys of the piano! The group here features the great trio with Eddie Gomez on bass and Marty Morell on drums – and unlike some other live Evans albums of this nature, which tend to mike the piano more than the rhythm, this one really has all three points of the trio coming out strongly together – especially Gomez' wonderfully rich, round tones on the bass. Titles include "Two Lonely People", "What Are You Doing The Rest Of Your Life", "Re Person I Knew", "Elsa", "Emily", "Turn Out The Stars", and "Quiet Now".

Rezensionen

,,Ein Idealbild der Improvisation im Jazz. Klassisch? Klasse!" (Jazzthing, April / Mai 2013)